Das war noch gar nicht allzu lange her, ich glaube im Herbst 2015. Ich war auf dem Weg nach Hause und traf an der Bushaltestelle in der Innenstadt meinen Nachbarn. Er ist ein ganz lieber älterer Mann, so um die 65. Er freut sich jedes Mal sehr mich zu sehen, lacht und fragt immer, ob es mir denn gut gehen würde. Wir reden gar nicht viel, aber wir lächeln uns nach dem kurzen Smalltalk immer lieb an – bis einer von uns aus dem Bus steigt. „Tschühüß!“, sage ich dann und weg ist er.
An dem besagten Nachmittag war alles wie immer. Wir stiegen einander anlächelnd in den Bus, der rappel voll war. Er stand neben mir.
„Ich halte dich fest.“, sagte er.
„Nein, nein, brauchen Sie nicht. Alles gut.“, ich lächelte. Ich bin ja nett und verdammt höflich. Manchmal zu höflich.
„Doch, doch.“
„Er meint es gut.“, dachte ich und sagte nichts mehr dazu. „Kann er ja machen, wenn er sich dabei großartig fühlt.“
Ich merkte, dass er mir immer näher kam.
„Nein, nein, du spinnst. Du übertreibst. Das ist ein alter Mann, ihr kennt euch, er ist nett! So etwas würde er nicht machen… nein… oder… ALTER???!!!“ – ich riss die Augen weit auf und… ja, ich schwieg. Ich bekam kein Wort raus, meine übliche Schlagfertigkeit war wie weggeblasen. Nach dem ersten kurzen Schock hob ich meinen Blick, lächelte nicht mehr und machte, ohne einen Ton zu sagen, deutlich: „Alter Mann, du machst dich gerade SEHR lächerlich.“ Die Beule war verschwunden. Mein Abend ist gelaufen.
Das war nur eine Geschichte von ganz vielen, die ich erlebt habe. Mit Männern in jedem Alter, mit verschiedener Herkunft, unabhängig von der Bildung. Schöne, schlaue Männer, die einen nachts verfolgen, die aus dem Nichts ihre Schwänze fotografieren und es dir via Whatsapp oder E-Mail schicken, die am Fenster stehen und die plötzlich immer und immer wieder an ‚deinen‘ Orten auftauchen. Ja, das ist leider wahr und leider gar nicht mal so selten.
Inzwischen weiß die ganze Welt, was in der Silvesternacht in Köln / Hamburg und auch in anderen Städten passiert ist. Es ist ein Drama. Es bewegt mich. Aber ich möchte nicht auch noch meinen Senf zu dem Thema geben. Vielleicht sollte ich es nur in einem Satz zusammenfassen:
„Kriminelle Arschlöcher!“
In den Medien gehen u.a. auch Verhaltenstips für die Frauen rum: Sie sollen eine #eineArmlaenge Abstand zu unbekannten Männern halten, sie sollten möglichst sportliche oder flache Schuhe tragen, falls sie weglaufen müssen und auf keinen Fall sich die Drinks ausgeben lassen!
Schön und gut, aber was ist mit der Gewalt im Alltag – ohne Masse, ohne Panik, wenn man ganz auf sich gestellt ist. Was, wenn der Mann gar nicht ein unbekannter Fremder ist, sondern dein Nachbar, vielleicht sogar dein (hoffentlich ehemaliger) Kumpel? Und was, wenn du nicht rennen kannst…?! Was, wenn du deine Arme nicht heben kannst, um dich zu wehren?
Du kennst so etwas wie „Angst“ gar nicht.
Du kannst nicht rennen, ja, das wissen und sehen alle. Auch der Mann, der davon ausgeht, du seist eine leichte Beute. Bist du aber nicht! Du fährst. Und zwar schnell. Nicht zu schnell, weil du sowieso den Fußgängern unterlegen bist. Im schnellen Schritttempo auf Bordsteine und Glassplitter achtend. Du provozierst nicht unnötig mit wütenden Blicken oder Worten. Meide Blickkontakt und fahre los. Fahre in ein Café oder einen Laden, wo nicht allzu viele Menschen sind – dort bemerkt man dich eher. Menschenmassen sind fatal!
Angst? Nein. Die hilft dir nicht, das wird dich nur lähmen. Mach dir bewusst, dass Männer, die Frauen missbrauchen, verfolgen, stalken oder belästigen, meistens ganz arme Würstchen sind. Mit einem sehr kleinen Penis. Die können nichts mit Frauen, die ihnen die Stirn bieten, anfangen. Du hast keine Angst, du kennst so etwas gar nicht. Du bist stolz. Aber du bist wachsam und vorsichtig. Du kannst die Situation einschätzen und gibst dich seiner körperlichen Überlegenheit nicht hin, lässt dich nicht von den Beleidigungen einschüchtern. Du wählst die Nummer eines deiner Freunde / Familienmitglieds oder der Polizei und bist auf alles vorbereitet.
Weil du die Situation einschätzen kannst, kannst du auch einschätzen, ob es möglich ist mit dem Mann in einer üblichen Tonlage zu sprechen. Das erwartet er nicht, er findet es SO absurd, weil er nur mit Angst und Flucht rechnet. Damit könnte er umgehen, das bestätigt ihn in seiner ersehnten Macht.
Eine kurze von mir erlebte Geschichte: Ich war mit meiner Freundin unterwegs, als uns ein Mann aufgefallen ist, der ständig dort auftauchte, wo wir waren. Am Bahnhof, im Café, am Wasser… Wir wunderten uns und meine Freundin fühlte sich dabei unwohl, war total unentspannt, hatte angst mit der Bahn zu fahren. „Kann ich dir iiiiiiiiiiiirgendwie helfen?!“, rief ich zu ihm rüber. Er starrte mich erschrocken an. „Wenn nicht, wäre es großartig, wenn du uns nicht mehr verfolgst. Ehrlich. Das nervt!“ Er stammelte etwas von „Äh… ich… warte hier nur… äh…“ – „Dann warte gefälligst woanders, du Honk!“, rief ich wütend. Und weg war er. Ja, es war vielleicht etwas zu unvorsichtig, ich habe mich selbst dabei überschätzt. Es muss nicht immer so enden. Aber es kann.
Männer können selten damit umgehen, ausgelacht zu werden. Angst und Unsicherheit motiviert sie weiterzumachen, die Macht auszuüben und zu zelebrieren. Verachtung killt das Selbstbewusstsein. Und was deine Beine (oder Arme) nicht können, können deine Blicke und deine Mimik.
Belächeln und verachten. Das ist genauso wichtig, wie Liebe und Freundlichkeit. Es hilft dir, weiterzukommen oder dich zu wehren.
Ganz egal ob in Turnschuhen, Ballerinas oder High Heels.
Egal ob im Rollstuhl oder ohne. Du bist die Queen, du darfst dich kleiden wie du willst.
Trotzdem: Bitte nimm deine Erlebnisse ernst. Wisch es nicht mit einer unsicheren Handbewegung aus deinem Kopf, aus deinem Herzen. Immer dann, wenn das Gefühl Alarm schlägt, immer dann wenn der Körper sich verkrampft, stimmt etwas nicht. Sprecht darüber.
Hier ist eine gute Adresse, falls du es lieber anonym bzw. professionell haben willst:
SUSE, eine Beratungsstelle für Mädchen und Frauen mit Behinderung.
BFF, ein Verein für Frauen, die von Gewalt jeglicher Form betroffen sind.